Der VDEV

und seine

Auswirkungen auf den Fahrzeugeinsatz in der Länderbahnzeit

In der Frühzeit der Eisenbahn war Deutschland in eine große Anzahl von kleinen Staaten zerfallen. Obwohl nach außen hin als Nation auftretend waren die Länder unter sich fast immer uneins oder gar zerstritten. Daher war es nur selbstverständlich, das Waren, die von Berlin nach München versandt wurden, fünf- bis siebenmal umgeladen werden mussten. Dies führte, abgesehen vom enormen Aufwand, zu großen Verzögerungen und war für verderbliche Waren kaum durchzuführen. Teilweise bewusst wurde dafür gesorgt, das Fahrzeuge verschiedener Verwaltungen nicht ohne weiteres miteinander harmonierten. Als Beispiel mag die alte Lage der Puffer an bayerischen Fahrzeugen dienen, die –ohne einen technischen Sinn zu ergeben- verhinderte das ein preußischer Wagen mit einem bayerischen gekuppelt werden konnte (Ja sogar nicht einmal mit der bayerischen Ostbahn) . Dementsprechend schwierig war ein „internationaler“ Transport. An jeder Verwaltungsgrenze mussten Transportgüter ausgeladen und wieder in andere Wagen eingeladen werden, meist unter Zollaufsicht. Jedes „Bundesland“ hatte natürlich seine eigenen Zollbehörden und ebenso ein eigenes Zollsiegel das bei diesem Vorgang angebracht wurde. Zur Abnahme des alten Siegels war nur ein Beamter der anbringenden Behörde berechtigt. Für einen Transport von mit dem Weg A-B-C waren folgende Schritte nötig:

  1. Verladen der Güter beim Absender

  2. Anbringen des Zollsiegels des Ursprungslandes (A)

  3. Transport bis zur Grenze eines Transitlandes (B)

  4. Bereitstellen eines entsprechenden Güterwagens der übernehmenden Verwaltung (B)

  5. Öffnen des Zollsiegels und entladen der Waren unter Zollaufsicht (A,B)

  6. Zollsicheres verladen in den bereitgestellten Wagen der Transitverwaltung unter Zollaufsicht (B)

  7. Anbringen des Zollsiegels der Transitverwaltung (B)

  8. Transport bis zur Grenze des Empfangslandes

  9. Bereitstellen eines entsprechenden Güterwagens der übernehmenden Verwaltung (C)

  10. Öffnen des Zollsiegels und entladen der Waren unter Zollaufsicht (B,C)

  11. Verladen in den bereitgestellten Wagen unter Zollaufsicht (C)

  12. Anbringen des Zollsiegels des Empfangslandes (C)

  13. Transport zum Empfänger und endgültiges öffnen der Zollversiegelung (C)

  14. Entladen der Waren

Die Schritte vier bis sieben konnten auch sich mehrmals wiederholen. Somit ist ersichtlich das solche grenzüberschreitenden Transporte recht aufwendig waren, was sich natürlich auf die Transportkosten auswirkte.

In einigen Ländern kam es schon im Binnenverkehr zu ähnlichem Aufwand. In Preußen, das auf das Privatbahnsystem gesetzt hatte gab es zwölf „größere“ Privatbahnverwaltungen, deren Wagen an der Grenze des jeweiligen Verwaltungsgebietes umkehren mussten. Deshalb wurden Frachten an der jeweiligen Verwaltungsgrenze vom Wagen einer Verwaltung in den der übernehmenden umgeladen. Der entladene Wagen konnte meist nicht gleich mit geeigneter Fracht beladen werden. Die übernehmende Bahnverwaltung hatte oft ebenso wenig die Möglichkeit geeignete Fracht zum Übergabebahnhof zu befördern. Somit herrschte ein reger Leerwagenverkehr der einen immensen Verwaltungsaufwand mit sich brachte und die Ausnutzung der Transportkapazität minimierte.

Weiterhin wurden viele technische Neuerungen bei verschiedenen Bahnverwaltungen parallel in unterschiedlicher Form entwickelt, dies ist jedoch ein anderer Themenbereich der ein anderes Mal besprochen und hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt sein soll.

Mit steigender Dichte der Eisenbahnnetze wuchs die Akzeptanz dieses Transportmittels und mit dem Transportvolumen auch der Aufwand den das oben geschilderte Verfahren mit sich brachte. Bald war der Aufwand kaum mehr zu handhaben, so dass eine deutliche Vereinfachung des Verfahrens angestrebt wurde. Die zehn größten preußischen Eisenbahnverwaltungen gründeten am 10. November 1846 den „Verband der preußischen Eisenbahndirektionen“. In der Präambel der Gründungsurkunde steht zu lesen, der Zweck des Verbandes sei „die Bestrebungen der Eisenbahnverwaltungen durch Einheitlichkeit zu fördern und damit den eigenen Interessen ebenso zu dienen wie denen des Publikums“.

Schon kurze Zeit später erkannten mehrere Bahnverwaltungen aus anderen Bundesländern das Verbesserungspotential das aus einem solchen Verband erwuchs und äußerten den Wunsch ihm beizutreten. Somit änderte der Verband bereits in der Versammlung vom November 1847 seinen Namen in „Verein Deutscher Eisenbahnverwaltungen“, kurz VDEV.

Die Satzung änderte sich nur unwesentlich, Zweck der Vereinigung war nach wie vor die Förderung gemeinschaftlicher Interessen. Alle Mitglieder hatten sich zu verpflichten Beschlüssen der Generalversammlung (Vereinsversammlung) zu folgen. Theoretisch gab es ein Einspruchsrecht jedes Mitgliedes, in der Praxis wurde dieses Recht nur selten ausgeübt. In Bayern hat dies z.B. zur Entwicklung höhenverstellbarer Puffer an Wagen geführt. Notwendig war dies wegen eines Vereinsbeschlusses, der die Pufferhöhe auf das bei 47 anderen Verwaltungen übliche Maß festlegte. Auch das verlassen der Breitspur im Großherzogtum Baden war nicht zuletzt durch diese Vereinheitlichungsbestrebungen verursacht.

Die Veröffentlichung der Richtlinien des VDEV sowie Berichte über technische Neuerungen und Erfahrungsberichte der einzelnen Verwaltungen erfolgte in der wöchentlich erscheinenden „Eisenbahn-Zeitung“. Auch Berichte aus dem Ausland sowie eine „Stellenbörse“ und ein wenig Werbung waren Bestandteil des Blattes. Um Verwirrung zu vermeiden: Die „Eisenbahn-Zeitung“ wurde als erstes Eisenbahntechnisches Periodikum bereits 1843 gegründet und vom Verein ab Gründung als offizielles Organ genutzt.

Anfänglich wurden Beschlüsse, die für die Vereinsmitglieder bindend waren durch einfachen Mehrheitsentscheid getroffen. Die Stimmen der Bahnverwaltungen hatten ab 1851 je nach verwalteter Streckenlänge unterschiedliches Gewicht. Die Vorbereitung von Beschlüssen geschah durch „ad hoc“ auf oder kurz vor den Vereinsversammlungen eingesetzte Ausschüsse. Da sich bald herausstellte das die Festlegung von Normen ausreichend vorbereitet sein muss, wurden permanente Ausschüsse gebildet, die ab 1875 beschließende Organe des Vereins wurden. Herausragend war hierbei die so genannte „Technikerversammlung“, deren Beschlüsse ohne Abstimmung bindend waren. Den meisten Lesern ist wohl die „Vereinslenkerachse“ zumindest dem Namen nach bekannt, die in diesem Ausschuss (natürlich nebst Unterausschüssen) neben zahlreichen anderen wesentlichen technischen Neuerungen entwickelt wurde.

Nach dieser Exkursion in den technischen Bereich zurück zu den betrieblichen Auswirkungen des Vereins.

Eine der ersten und wohl die wesentlichste Vereinbarung der Vereinsmitglieder war die Möglichkeit eines „freizügigen“ Einsatzes von Güterwagen. Innerhalb des Vereinsgebiets und der Grenzen des deutschen Zollverbandes war es nunmehr möglich Frachten über die zahlreichen Verwaltungsgrenzen hinweg zu befördern ohne sie umladen zu müssen. Anfänglich standen hier noch häufig technische Probleme im Weg die sich aber bald gelöst wurden. Allerdings mussten die Wagen die für diesen Einsatz vorgesehen waren einige Bedingungen erfüllen und im allen Ländern für den Verkehr in Zügen zugelassen sein. Dies war der eigentliche Grund für die Einführung der Vereinsbestimmungen technischer Natur (TV, TA).

Entladene Wagen mussten sofort zur Eigentumsverwaltung überstellt werden, widrigenfalls waren nach Ablauf von 24 Stunden Mietzahlungen fällig. Jede Verwaltung war daher bestrebt möglichst wenige Wagen fremder Verwaltungen auf ihren Gleisen zu beherbergen. Der Einsatz von Wagen ohne Rücksicht auf die Eigentumsverwaltung wurde erst mit Gründung des Staatsbahnwagenverbandes 1910 eingeführt.

Reparaturen und Fristarbeiten durften an Wagen anderer Verwaltungen nicht ausgeführt werden. Ausnahmen bildeten Notreparaturen. Jedoch war es bis 1910 nicht gestattet mehr Arbeiten auszuführen als unbedingt für die Wiederherstellung der Fahrtauglichkeit notwendig waren.