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Die Entwicklung der Wagenheizung bei den Eisenbahnen im Königreich Bayern


Dr. Gert von Rosen - von Hoewel, Dr. Andreas Werner

2. Vom „Allerhöchsten Dienst“ zum Allgemeingut bei den Staatsbahnen

War es für den bayerischen König schon kein Widerspruch, seine historisierenden Schlösser mit fließendem Wasser und elektrischer Beleuchtung auszustatten, so verwundert es nicht, daß die Beheizung der Eisenbahnwagen zuerst im Fuhrpark seiner Majestät zur Anwendung kam. Diese Einrichtung war von dem Civil-Ingenieur Johannes Haag in Augsburg entwickelt worden, der die Ereignisse im März 1873 rückblickend zusammenfasst5:

Das ursprüngliche Erwärmungssystem mit heißem Sand und heißen Wasserflaschen, wurde bei der immer größer werdenden Frequenz als nicht mehr genügend und als im Betriebe ziemlich kostspielig befunden, und im Jahre 1867 die Generalverwaltung der Eisenbahnen von dem damaligen königl. bayerischen Handelsminister Herrn v. Schlör aufgefordert, die Herstellung einer zweckmäßigeren, ausgiebigeren und anhaltenderen Erwärmungsmethode anzustreben. Nachdem ich hiervon Kenntniß erhalten hatte, brachte ich für die Beheizung der Waggons sofort die Dampfheizung in Vorschlag; ich hatte nämlich schon mehrere Jahre vorher für die Waggons Sr. Majestät des Königs von Bayern, wo der Königliche Zug nur aus zwei Waggons bestand, eine Heißwasserheizung ausgeführt, dann aber, als dieser Zug sich auf vier und mehr Waggons vergrößerte und deßhalb die Heißwasserheizung für denselben nicht mehr als praktisch anzurathen war, der königl. bayerischen Eisenbahndirection die Pläne für eine Dampfheizung desselben eingereicht, welche auch s. Z. durch die Erbauer der Königlichen Waggons, die Herren Klett und Comp. in Nürnberg, ausgeführt wurde.

Zum besseren Verständnis ist ein Rückblick erforderlich6: König Ludwig I. hatte noch kurz vor Ende seiner Regierungszeit für den Allerhöchsten Dienst zwei Pärchen von Salonwagen mit Interkommunikation bestellt, die bis zum Revolutionsjahr 1848 geliefert wurden. Diese dreiachsigen Wagen entsprachen der damals in Bayern üblichen belgischen Bauart mit niedrigem Wagenkasten, und bestanden aus je einem Leib- und einem Gefolgewagen (Nr. 338-339 und 346-347), die paarweise auf den damals noch getrennten Streckenästen ab München bzw. ab Nürnberg eingesetzt wurden. Nach Revolution und Machtwechsel beabsichtigte der Thronfolger Maximilian II. 1852 eine große Europareise, für die sich die bayerische Sonderbauart jedoch als ungeeignet erwies. Deshalb wurde das Wagenpaar zwischen zwei Gepäckwagen eingestellt, die für die höher liegenden Puffer- und Zugeinrichtungen der außerbayerischen Bahnen gerüstet waren Minister von der Pfordten schreibt diesbezüglich7:

[...] ist Euer Königlichen Majestät General-Verwaltung zu einem Auskunftsmittel gekommen, welcher die Benützung der gegenwärtigen Königlichen Reisewagen auf den meisten auswärtigen Bahnen ermöglichen wird. [...] Der Vorschlag der Generaldirektion geht nun dahin [...] daß vor und hinter denselben ein Gepäckwagen eingestellt wird, deren Gestelle am einen Ende so eingerichtet wird, daß es an alle verschiedene Puffer- und Zugvorrichtungen hinpaßt. Dieser Gepäckwagen dient im Winter zugleich für die Aufstellung des Ofens der Warmwasserheizung.

Der Vorschlag der Generaldirektion wurde am 6.5.1852 genehmigt. Es ist unklar, ob der auf diese Weise provisorisch mit Heizeinrichtungen versehene Wagen im Wagenpark für den Allerhöchsten Dienst verblieb. Jedenfalls taucht ein eigener Heizwagen erst für das Geschäftsjahr 1855/56 in den Geschäftsberichten der bayerischen Verkehrsanstalten auf ("5. Nachweisung"); dabei muß es sich um den von Haag erwähnten Wagen für Heißwasserheizung handeln. Abbildungen sind nicht bekannt; aber es konnte nur ein umgebauter Güterwagen oder Güterzug-Gepäckwagen gewesen sein. Das abgebildete Modell besitzt keine Bremsen wie sie üblicherweise der besprochene Wagen gehabt haben muss, weil Salonwagen keine besaßen.

Bild Güterwagen um 1851 (H0-Modell)
Abb. 2: Güterwagen um 1851 (H0-Modell)

Einer der alten Königswagen wurde außerdem durch einen Neubau mit der Wagennummer 1254 ersetzt. Mit dem Abschluß der "9. Nachweisung" vom September 1860 gesellte sich zu dem alten Zug aus Dreiachsern ("8 Stück Personenwagen incl. 1 Heiz- und Beschlusswagen für den allerhöchsten Dienst (älterer Zug) mit 24 Achsen") der moderne, von Klett & Co erbaute Königszug. Dieser umfaßte den später durch Ludwig II. im Neorokoko umdekorierten, mit der Krone auf dem Dach versehenen Königswagen 4555 (heute im DB Museum Nürnberg) sowie vier 2-achsige Gefolge- und Gepäckwagen Nr. 4556-4559. Handelte es sich bei dem ersten Heizwagen noch um eine Sonderbauart, die wegen der speziell auf den königlichen Salonwagen zugeschnittenen Wasserheizung für die weitere Entwicklung ohne Belang ist, so liegt nun mit dem Wagen 4559 zum ersten Mal ein Heizwagen für Dampfheizung vor, der zum direkten Vorbild für die allgemeine Einführung der Dampfheizung in allen Klassen der Staatsbahn werden sollte (Abb. 3). So umfaßt das "Wagen-Inventar" in der 10. Nachweisung vom September 1861 den folgenden Wagenpark8:

1 Hauptsalon für den Allerhöchsten Dienst, 4 Achsen [Anm: neuer Zug]
4 Personen-, Heiz- und Gepäckwagen hierzu, je 2 Achsen
6 Personenwagen für Reisen höchster Herrschaften zu je 3 Achsen [Anm: älterer Zug]
1 Anschlußwagen hierzu, 3 Achsen
1 Heizwagen hierzu, 3 Achsen

Der neue Königszug war nach englisch-norddeutschen Puffernormen erbaut und somit inkompatibel mit den alten Königswagen von 1848, die jedoch sukzessive umgebaut wurden und dabei ihre mittlere Achse verloren. Solange jedoch noch alte Dreiachser im Bestand waren, war es sinnvoll, auch den alten Heizwagen für Wasserheizung vorzuhalten. So umfaßte der ältere Zug im übernächsten Budgetjahr 1862/63 neben "2 Personenwagen für Reisen höchster Herrschaften" mit je 2 Achsen und "4 Gefolgewagen hierzu mit 3 und 2 Achsen" noch den alten dreiachsigen Heizwagen. Ab dem folgenden Jahr sind alle vier alten Königswagen zu Zweiachsern umgebaut, der Rest nicht mehr im Bestand der Wagen für den Allerhöchsten Dienst erfaßt. 1868 läßt Ludwig II. den Wagenpark für 820 fl. mit weiteren Einrichtungen für Dampfheizung nachrüsten9; hierbei ist anzunehmen, daß mit diesen Mitteln die umgerüsteten alten Königswagen für die Dampfheizung ertüchtigt wurden, um in den neuen Zug eingereiht werden zu können. Da der alte Heizwagen nun keine Verwendung mehr hatte, wurde er "bereits 1868 demontirt".

Bild Gepäckwagen Nr. 4559, ausgerüstet als Heizwagen, Klett & Co. 1860.
Abb.3: Gepäckwagen Nr. 4559, ausgerüstet als Heizwagen, Klett & Co. 1860 (H0-Modell Trix, Art.-Nr. 21231)

Auch außerhalb Bayerns war die Entwicklung fortgeschritten: Bereits 1858 hatte die Oberschlesische Eisenbahn erste Versuche mit der Dampfheizung unternommen; jedoch versuchte man dort den Abdampf direkt am Zylinder zu entnehmen, was einen schädlichen Gegendruck erzeugte10. Erst die Königlich-preußische Ostbahn unternahm ab Winter 1864/65 erfolgreiche Versuche mit einem separaten Heizkesselwagen auf dem Streckenabschnitt Bromberg-Thorn-Alexandrowo (an der damaligen russischen Grenze). Seither heizte man dort grundsätzlich mit Dampf, wobei dieser bei Schnellzügen auch an der Lokomotive entnommen wurde11. Dieser Verwaltung gebührt somit der Verdienst, die Dampfheizung zuerst im Regelbetrieb eingeführt zu haben. Ab 1866 erprobte auch die Braunschweigische Staatseisenbahn einen Heizwagen, und die KED Hannover experimentierte 1868 wiederum mit einem separaten Heizkessel auf dem Postzug Köln-Berlin 12.

Auch in Bayern sollte die neue Dampfheizung nicht allein dem König vorbehalten bleiben: Das bayerische Handelsministerium richtete im September 1867 an die Generalverwaltung die Aufforderung, sich binnen 14 Tage fachlich über eine zweckmäßige Erwärmung der Personenwagen zu äußern13. In der Antwort im Oktober wurde auf eine gute Möglichkeit einer gleichmäßigen Warmhaltung mit einer Dampfheizung hingewiesen. Als Hindernis für eine Einführung wurde die Notwendigkeit einer fachlich qualifizierten Bedienung der Anlage angesehen, und daß sie zu teuer sei. Das sollte jedoch nicht für eine Heizung mit Warmluft gelten. In dieser Frage sollten entsprechende Versuche Klärung schaffen14. Es hat den Anschein, daß die Generaldirektion die Angelegenheit hatte schleifen lassen, weil das Ministerium genau ein Jahr später eine sofortige Stellungsnahme anfordern musste15. Tatsächlich war bereits am 31.10.1867 ein Angebot des Fabrikanten J. Haag zum Einbau von Wagenheizungen bei der Generaldirektion eingegangen.

Die Bahnbehörde äußerte, „zur allgemeinen Durchführung der Dampfheizung ist die Sache jedenfalls noch nicht bereit“, und berief sich auf das zwiespältige Ergebnis der Diskussion des Themas bei den Beratungen der technischen Kommission des Eisenbahnvereins von 1868, indem die in Hannover und bei den preußischen Ostbahnen erprobten Wagenheizungen die Voraussetzungen „ganz gut“ erfüllt hätten, wobei aber die Kosten sehr hoch seien. Die Behörde erklärte sich bereit, die Beantragung der erforderlichen Mittel in die Wege zu leiten und nach Umbau der Wagen mit den Erprobungen zu beginnen.

Haag bekam den Zuschlag. Später schreibt er rückblickend5:

In demselben Jahre 1867 habe ich der bayerischen Generaldirection der Verkehrsanstalten in München Pläne und Kostenvoranschläge über eine Dampfheizung für die Eisenbahnwaggons erster, zweiter und dritter Classe eingereicht und das Gesuch gestellt, einen Probezug nach meinem vorgeschlagenen System einrichten zu dürfen, welches auch im Herbst 1868 genehmigt wurde, so daß ich im Jahre 1869 die erste Probefahrt machen konnte; diese fiel der Art zur Zufriedenheit aus, daß im darauffolgenden Sommer mir der ehrenvolle Auftrag von hoher Generaldirection der bayerischen Verkehrsanstalten zu Theil wurde, diese Centraldampfheizung für alle Züge der kgl. bayerischen Staatsbahn einzurichten und die Arbeit so zu beschleunigen, daß schon den kommenden Winter 1869–70 dieselben zur Benutzung gelangen können.

Am 12.12.1868 wurde ein erster Vertrag über den Umbau von zwei Wagen 1./2. Klasse, zwei Wagen 2. Klasse und einem Gepäckwagen abgeschlossen, wobei die Kosten für die vier Personenwagen laut Voranschlag 2200 fl. betragen sollten. Februar 1869 bat die Generaldirektion um die Bewilligung weiterer Gelder, nachdem zusätzlich am 16.2. ein Vertrag über die Ausrüstung von vier 3.-Klasse-Wagen abgeschlossen worden war.

Wer war Johannes Haag?

Johannes Haag wird 1819 in Kaufbeuren geboren und studiert Maschinenbau an der neu gegründeten Polytechnischen Schule in Augsburg. Danach arbeitet er zunächst in leitender Stellung bei Escher, Wyss & Cie in Zürich, und besucht 1842 England, wo er unter anderem die Perkin'sche Heißwasserleitung und Dampfheizung kennenlernt. 1843 zurückgekehrt, gründet er in Kaufbeuren seine „Werkstätte für allgemeinen Maschinenbau und für die Herstellung von Zentralheizungen". Sein erster Auftrag gilt dem Schloß Sigmaringen, das somit die erste Dampfheizung Deutschlands erhält. Es folgen Aufträge der Höfe in München, Wien, Berlin und Sankt Petersburg. 1848 ist er u. a. mit der Sanierung der Heizung des Augsburger Bahnhofs befasst16. 1857 wird die Firma nach Augsburg verlegt; 1871 hat sie „schon gegen 1000 Heißwasserheizungen hergestellt, außer für Privatgebäude hauptsächlich für Krankenhäuser, Schulen, Gefängnisse und andere öffentliche Anstalten, für Fabriken, Gewächshäuser etc., und sich dadurch einen weit verbreiteten Ruf erworben“17. Darunter befindet sich beispielsweise die Zentralheizung, mit der die Treibhäuser des 1860-65 erneuerten kgl. botanischen Gartens in München temperiert werden40.

So ist es nur logisch, daß die Augsburger „Maschinen- und Röhrenfabrik Johannes Haag“ ihre Aktivitäten auch auf das neue Gebiet der Waggonheizung für Eisenbahnen ausdehnt, wo sie bald zum alleinigen Lieferanten der bayerischen Staatsbahn wie auch der Ostbahn werden sollte. In technischer Hinsicht stärkt Haag seine führende Position durch zahlreiche eigenständige Innovationen, die ihn zum hartnackigen Verfechter eines eigenen deutschen Patentrechts machen. Er gilt daher als Hauptinitiator des 1877 in Berlin gegründeten Reichspatentamts41. Seine Maschinen- und Röhrenfabrik ging später auf in der heutigen Sulzer AG.


Kapitel 3: Technische Ausführung und Weiterentwicklung